«Gitarrenlaute» oder «Echte Laute»?
Lautenisten neigen dazu, ihr Instrument in seiner überlieferten Form für vollkommen zu erklären. Sie halten weitere Entwicklungsschritte für überflüssig oder gar unmöglich und lehnen sie oft von vornherein ab. Diese Ehrfurcht vor der Tradition verdient Respekt, übersieht jedoch, daß die Laute zwischen 1400 und 1730 eines der veränderungsfreudigsten Instrumente überhaupt war. Sie geriet außer Kurs, als ihre Spieler und Hersteller es aufgaben, den Entwicklungen der europäischen Musik zu folgen.
Was heute noch spielbare Lauten des 18. Jahrhunderts angeht, so hatte ich persönlich das Glück, sie nicht nur in jenen Träumen zu berühren, denen sich Besitzer mehr oder weniger geglückter Kopien vor Museumsvitrinen hinzugeben pflegen. Ich kann mich – als Spieler und Eigentümer solcher Instrumente – vielmehr auf eine langjährige praktische Erfahrung mit ihnen berufen und glaube recht gut zu wissen, wozu sie imstande sind und wozu nicht. Aus dieser Kenntnis heraus versichere ich, daß die Entwicklung der europäischen Laute noch längst nicht abgeschlossen ist und hoffentlich auch niemals sein wird.
Der Liuto forte ist kein Hybridinstrument wie etwa die „Wandervogellaute” unseligen Andenkens, sondern eine wirkliche Fortsetzung der im 18. Jahrhundert unterbrochenen, großen europäischen Lautenbautradition. Es wäre nun töricht, an diese Tradition anknüpfen zu wollen, ohne den reichen Erfahrungsschatz zu berücksichtigen, den insbesondere spanische Gitarrenbauer zwischen 1830 und 1930 in den Zupfinstrumentenbau eingebracht haben. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, daß man die Laute zur Gitarre macht.
Einige der im spanischen Gitarrenbau essentiell gewordenen Prinzipien der Deckenbeleistung wie z.B. die symmetrische Anordnung mehrerer Fächerbalken (Spreizer) waren schon im Lautenbau des 18. Jahrhunderts klar ausgeprägt (siehe die Lauten Joachim Tielkes und Sebastian Schelles, sowie die Mandoren Gregor Ferdinand Wengers).
Es lag nahe, vom historischen Lautenbau zu behalten und vom Gitarrebau zu übernehmen, was dem angestrebten Klangideal des neuen Instrumentes – Wärme gepaart mit Klarheit, Brillanz und Kraft – am meisten dienlich schien.
Die Neue Laute wiegt nicht mehr als ein historisches Instrument. Allerdings ist sie ein Wolf im Schafspelz. Ähnlich wie bei den im 19. Jahrhundert zu kraftvollen, „klassischen” Geigen umgewandelten Barockviolinen Stradivaris und Guarneris, deren Korpusstärken beim Umbau nicht verändert wurden, bestehen auch hier die ausschlaggebenden Modifikationen in einer neuen Kombination mehrerer konstruktiver Details.
Wenn Spieler der historischen Laute einwenden, der Liuto forte klänge nicht mehr wie die ihnen vertrauten Kopien historischer Instrumente, so wird diesem Einspruch gern stattgegeben. Es ging bei seiner Entwicklung ja auch nicht darum, nur der Tonschwäche der alten Laute abzuhelfen, sondern ihr unter Bewahrung grundlegender Eigenschaften des Lautentons neue klangliche Dimensionen zu erschließen. Die alte Laute hätte selbst dann nicht den Sprung ins 19. Jahrhundert geschafft, wenn es ihr unter Beibehaltung ihrer sonstigen Toncharakteristik gelungen wäre, einfach nur lauter zu werden.
Die Behauptung, daß der Liuto forte wie eine Gitarre klänge, hält dagegen einer Überprüfung nicht stand. Gitarristen urteilen ganz anders. Sie bemerken am Liuto forte eher die Steigerung der einer Laute innewohnenden Möglichkeiten, und manche meinen sogar, der Unterschied zwischen der alten Laute und dem Liuto forte wäre der zwischen Sprechen und Singen.
Die Antwort auf die Frage, ob der Liuto forte eine „echte” Laute sei, kann man guten Gewissens dem heutigen Publikum überlassen. Ich würde eher fragen, ob er eine vollständige Laute ist, die nicht nur den Anforderungen der Vergangenheit, sondern auch denen der Gegenwart genügt und eine breite Zuhörerschaft begeistern kann. In seinem schönen Buch über Antonio de Torres beschreibt José L. Romanillos die Qualitäten einer „wirklich klingenden” Gitarre, die auch für eine „wirklich klingende” Laute gelten:1
„Ich glaube, daß eine Gitarre, die nicht den größten Bereich der möglichen Klänge abdeckt, keine vollständige Gitarre ist, und daß eine schwer gebaute Gitarre nicht in der Lage ist, die Feinheiten zu produzieren, die eine Konzertgitarre erst ausmachen.”
1 José L. Romanillos: Antonio de Torres. Ein Gitarrenbauer – Sein Leben und Werk. Mit einem Vorwort von Julian Bream. Frankfurt am Main 1990 (Fachbuchreihe Das Musikinstrument 50). S. 83.