Weniger ist mehr – Grenzen und Aussichten der klassischen Gitarre

Um es vorwegzunehmen: Ich liebe den warmen, dunklen Klang der „klassischen“ Gitarre.

Allein Julian Breams Film „Guitar in Spain“ wäre hinreichend für mich, ihr auf immer einen Platz unter den schönsten Musikinstrumenten des Abendlandes zu sichern. Gleichwohl läßt sich nicht verkennen, daß der Stern dieses Instruments im Bereich der Klassik schon seit längerem am Sinken ist. (Siehe auch Interview mit Eduardo Fernández) Einige machen dafür einen zunehmenden instrumentalen Narzißmus verantwortlich, der sich verflachend auf die Programmgestaltung auswirke. Andere vermuten, daß der allzu gedeckte, baßlastige Klang der klassischen Gitarre selbst allmählich aus der Mode komme, ähnlich den schweren Parfums, die unsere Großmütter trugen.

Ich persönlich glaube, daß jedes Musikinstrument eine eigene, zeitlose Schönheit bewahrt, sofern man es in seinen natürlichen Grenzen läßt und ihm nichts abverlangt, was mit seinem Klangcharakter und seinen Einsatzmöglichkeiten unvereinbar ist. Da mir scheint, daß das Auf und Ab der Beliebtheit der Gitarre etwas mit dem Respektieren bzw. Mißachten solcher Grenzen zu tun hat, möchte ich ein wenig über die natürlichen Voraussetzungen dieses Instrumentes sprechen.

Die Gitarre verdankt ihren Aufstieg zu Beginn des 19. Jahrhunderts einem Vakuum, das durch das Verschwinden der Laute aus dem europäischen Musikleben entstanden war. Weder ist sie für den Untergang der Laute verantwortlich, noch hat sie diese verdrängt oder gar abgelöst. Ihre Rolle als dominierendes Zupfinstrument dieser Zeit kann mit der der Lauteninstrumente vorangegangener Epochen allerdings nur bedingt verglichen werden, denn es gehörte von Anfang an nicht zu ihren Aufgaben, eine Stellung im klassischen Ensemble einzunehmen, wie sie Arciliuto, Theorbe oder Gallichon zuvor im Barockorchester innehatten. Der süße Klang der Biedermeiergitarre schmeichelte zwar dem Ohr, tröstete anspruchsvolle Hörer jedoch nicht über den Verlust hinweg, den die Musik durch das Erlöschen einer alten, etablierten Instrumentengattung in all ihren vielfältigen Formen und Einsatzmöglichkeiten erlitten hatte.

Die noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts selbstverständliche Integration von Zupfinstrumenten wie Laute, Arciliuto und Theorbe in Kammer- und Orchestermusik, verschaffte diesen Instrumenten einen anerkannten Rang und ihren Spielern einen sozialen Status. An deren Stelle trat im 19. Jahrhundert die freiberufliche Existenz reisender Gitarrevirtuosen, die ein vorwiegend bürgerliches Publikum mit mehr oder minder kostbaren eigenen Werken und verwegenen Arrangements begeisterten. Kernpunkt des Entzückens war zweifellos der Klang dieser neuen Gitarre selbst, der sich von dem der Lauteninstrumente zwar kaum durch Lautstärke, jedoch durch deutlich mehr Süße, Kantabilität und Farbenreichtum unterschied. Darin lag allerdings auch die Gefahr des Kokettierens mit der eigenen Lieblichkeit auf Kosten der musikalischen Substanz. Ernsthaftere Liebhaber des Gitarrenklanges wie z.B. Fernando Sor beklagten nicht ohne Grund, daß Verleger, die auf dieser Welle ritten, der Verflachung des Repertoires nur allzu bereitwillig Vorschub leisteten.

Läßt man die neuen klanglichen Errungenschaften der Biedermeiergitarre einmal außer acht, dann ist der Aufstieg eines sechssaitigen Zupfinstrumentes in Quartenstimmung nur fünfzig Jahre nach dem Ableben von Sylvius Leopold Weiß (1684 – 1750) ein erstaunlicher Anachronismus. Vermutlich kann er weniger mit musikalischer Vernunft, als mit den Vorlieben sangesfreudiger Amateure erklärt werden, denen die Möglichkeit des „Durchstreichens“ aller Saiten eine besondere Herzensangelegenheit war. In gewisser Weise wurde diese Entwicklung bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die bei Dilettanten beliebte Mandora vorgeprägt. Dabei handelte es sich um ein in drei Stimmlagen gebautes Lauteninstrument mit nur 6 bis 9 Chören, wovon das sechschörige Modell in E exakt dieselbe Stimmung aufwies, wie die spätere Gitarre.

Zum besseren Verständnis einiger weiterer Anomalien dieser Entwicklung ist ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Lauteninstrumente unerläßlich.

Bereits um 1500 war ein Mitglied der Lautenfamilie – die Tenorlaute – in der Stimmung E-A-d-fis-h-e’ in Gebrauch. Dieser Umfang wurde allerdings von den Komponisten rasch ausgereizt und schon bald um eine Sekunde oder Quarte in der Tiefe erweitert (7-oder 8-chörige Laute).

Außer in Tenorlage wurden Lauten im 16. Jahrhundert in mindestens vier weiteren Größen gebaut, die ganz unterschiedlichen Zwecken dienten:

Diskantlaute in h’ Saitenlänge 48-52 cm (Ensemble)
Altlaute in g’ oder a’ Saitenlänge 56-60 cm (Solo und Ensemble)
Tenorlaute in e’ Saitenlänge 67-72 cm (Ensemble und Solo)
Baßlaute in d’ Saitenlänge 74-78 cm (Ensemble)
Großoktav-Baßlaute in g Saitenlänge 88-95 cm (Ensemble)

Die Altlaute in g’ oder a’ mit einer Saitenlänge zwischen 56 und 60 cm spielte in dieser Gruppe ungefähr die Rolle, die heute der Violine im Streichensemble zukommt. Sie war bis etwa 1620 das zur Ausführung polyphoner solistischer Werke (Francesco da Milano, G. A. Terzi, John Dowland u.a.) bevorzugte Instrument. Die Tenorlaute in e’ wiederum, die in Stimmlage und Größe unserer heutigen Gitarre entsprach, kann am ehesten mit der Bratsche verglichen werden. Sie wurde im Ensemble und für die Liedbegleitung verwendet oder zur Ausführung von Stücken, denen keine allzu komplizierte spieltechnische Struktur zugrunde lag.

Der im Vergleich zur heutigen Gitarre deutliche geringeren Saitenlänge des Soloinstruments der Renaissance lagen harte physiologische Fakten zugrunde. Ein beliebter Test zur Feststellung der richtigen Mensur für unterschiedlich große Hände bestand für Spieler der Altlaute darin, einen As-Dur-Akkord (in Gitarre-Stimmung F-Dur) in der ersten Lage zu greifen. Dabei wurde der erste Finger im Barré über den ersten Bund gelegt und die Töne As auf der sechsten, c’ auf der dritten, es’ auf der zweiten und c’’ auf dem fünften Bund der ersten Saite gegriffen (Gitarre: F, a, c’, a’ mit nach fis gestimmter g-Saite). Dieser kleine Versuch konnte einsichtige Menschen rasch dazu bringen, den Gedanken an eine Laufbahn als berufsmäßiger Lautenspieler wieder aufzugeben.

Der Erfahrung nach scheinen Saitenlängen von 56-60 cm für ein in Quarten gestimmtes Instrument am natürlichsten zur Bewältigung eines anspruchsvollen solistischen Repertoires und der darin am häufigsten vorkommenden Überstreckungen zu sein. Die Mensur der heutigen Gitarre mit ihren durchschnittlichen 65 cm ist unter physiologischen Gesichtspunkten zu groß. Sie müßte vernünftigerweise eher im Bereich um 58 cm liegen. Für ein überwiegend im Ensemble benutztes Instrument der Tenorlage in e’ wiederum ist sie zu klein, denn dessen Saitenlänge sollte normalerweise 67 cm nicht unterschreiten. Die gymnastischen Herausforderungen, vor die eine „klassische“ Gitarre in Quartenstimmung und mit einer Mensurlänge von 65 cm ihre Spieler stellt, können vor dem Hintergrund der eher „natürlichen“ Mensuren der verschiedenen Lautengrößen durchaus mit denen eines Geigers vergleichen werden, der das solistische Violinrepertoire auf einer Bratsche in Cellostimmung wiedergeben muß.

Kehren wir jedoch noch einmal zu den Lauteninstrumenten zurück.

Die Altlaute verlor aufgrund ihres geringen Luftvolumens rasch an Bedeutung, als das Generalbaß-Zeitalter anbrach und man auch bei solistisch verwendeten Zupfinstrumenten zunehmend Wert auf ein klangstarkes Baßregister legte.

Da die Theorbierung (Verlängerung der Baßsaiten) solcher kleinmensurierter Instrumente (Liuti attiorbati) diesen Zweck nur unzureichend erfüllte, traten Tenor- und Baßlauten dank ihrer größeren Korpora im Lauf des 17. Jahrhunderts immer mehr in den Vordergrund.

Die größere Saitenlänge dieser Instrumente machte allerdings auch eine Stimmung in kleineren Intervallen erforderlich, sofern sie unumschränkt solistischen Zwecken dienen sollten. Bei der um etwa 1630 eingeführten, aus Terzen und Quarten bestehenden d-moll-Stimmung kamen extreme Überdehnungen der linken Hand, wie sie in der alten Quartenstimmung zu finden waren, nicht mehr vor. Für Gitarristen, die heute auf Mensuren um 65 cm Spreizungen ausführen müssen, die im 16. Jahrhundert der Altlaute mit einer Saitenlänge von 56-60 cm vorbehalten waren, dürfte der Umstand interessant sein, daß selbst diese angenehmeren Saitenlängen die alte Quarten- und heutige Gitarrenstimmung nicht vor der Kritik bewahrten, daß sie zu viele „vertrackte Griffe“ (Thomas Mace) enthielt, was schließlich zu ihrer Ablösung durch die d–moll-Stimmung führte.

Eine Möglichkeit, Spielern eines in Quarten gestimmten Instruments Erleichterung zu verschaffen bestünde zweifellos darin, die Quarte zwischen der fünften und sechsten Saite aufzugeben und durch eine Terz oder zwei Ganztonschritte zu ersetzen. Das wurde nicht nur bei der neuen d-moll-Stimmung der Laute praktiziert, wo auf das A keine Quarte, sondern diatonisch gestimmte, freie Saiten folgten, sondern auch bei achtchörigen Mandoren des 18.Jahrhunders, die folgendermaßen einstimmt waren: E-F-G-A-d-g-h-e’. Sollten Sie sich mit der Lautenmusik John Dowlands und den darin vorkommenden grifftechnischen Schwierigkeiten ein wenig auskennen und Besitzer einer achtchörigen Laute sein, dann empfehle ich Ihnen den Versuch, diese Musik mit einer zusätzlichen 6. Saite in A (je nach Tonart auch As) oder – falls Sie Spieler einer achtsaitigen Gitarre sind – Fis (bzw. F) wiederzugeben und auf die phänomenalen grifftechnischen Erleichterungen zu achten, die Ihnen allein diese eine zusätzliche Saite im Terzabstand verschafft.

Der große Nachteil des Fehlens der Töne G und F(Fis) als freie Saiten war auch Gitarristen des 19. Jahrhunderts durchaus bewußt. Ferdinando Carulli (1770-1841) entwickelte daher sein „Décacorde“, eine zehnsaitige Gitarre in der Stimmung C-D-E-F-G-A-d-g-h-e’, die noch heute im Pariser Musée de la Musique zu bewundern ist. Der Spanier Antonio Jimenez Manjón (1866-1919) wiederum ordnete – musikalisch sehr durchdacht – die Baßsaiten seiner 11-saitigen Torres-Gitarre in der Reihenfolge: C-F-D-G-H-E-a-d-g-h-e’ an und erhob kühn den Anspruch, daß sein in dieser Weise aufgerüstetes Instrument die „Nachfolgerin der ehrwürdigen Theorbe“ sei.

Die heutige Dominanz der sechssaitigen Gitarre gegenüber den mehrsaitigen Modellen ist weniger ein Resultat musikalischer Vernunft, als vielmehr das Ergebnis kommerzieller Präferenzen der Verleger des 19. Jahrhunderts, die nie das Gros der Amateure aus den Augen verloren. Bei genauerem Hinsehen findet man – neben Carulli und Manjón – eine erstaunliche Anzahl von Spielern, die sich in den vergangenen zweihundert Jahren mehrsaitiger Gitarren bedienten. Satztechnisch scheint eine Erweiterung des Tonumfangs eines in E-A-d-g-h-e’ gestimmten Instrumentes in der Tiefe überaus sinnvoll. Ein zusätzliches D ist dabei der Minimalkonsens, besser noch wäre allerdings das Vorhandensein der Töne D, C und Kontra H als zusätzliche, freie Saiten.

Die Gründe, die gegen eine solche Erweiterung des Tonumfangs der klassischen Gitarre sprechen, liegen allerdings ebenfalls auf der Hand und sind sowohl ästhetischer wie auch klanglicher Natur.

Hinsichtlich ihrer Form ist die von Antonio de Torres konzipierte sechssaitige Gitarre schlichtweg vollkommen. Der schlanke Umriß des Ahorninstrumentes aus dem Jahre 1864, dessen sich Francisco Tárrega bevorzugt bediente, verströmt zeitlose Eleganz und steht im Hinblick auf die vollendete Ausgewogenheit aller Proportionen ebenbürtig neben Antonio Stradivaris Geigenmodellen der goldenen Periode. Julian Bream hat daher leider recht, wenn er vor diesem Hintergrund meint, daß mehrsaitige Gitarren „nur mit Überwindung“ anzuschauen seien.

Unter akustischen Gesichtspunkten wiederum ist bei einer Erweiterung des Tonumfangs in der Tiefe festzustellen, daß die „klassische“ Gitarre konstruktionsbedingt bereits so weit im dunkleren Teil des Klangspektrums liegt, daß alle Töne über das tiefe D hinaus viel zu obertonarm sind, um sich noch befriedigend mit dem Diskantregister zu vermischen. Wollte man die Bauweise der klassischen Gitarre nicht grundsätzlich ändern, müßten diesen tiefen Tönen zusätzliche Oktavsaiten beigefügt oder ihre Mensur deutlich verlängert werden, was den Gebrauch schlankerer und damit obertonreicherer Saiten erlaubt.

Wie es scheint, ist dieses Instrument – wenn es seiner äußeren Schönheit und klanglichen Ausgewogenheit nicht verlustig gehen will – aus mehreren Gründen gut beraten, bei sechs bis acht Saiten zu bleiben und sich mit den daraus ergebenden Möglichkeiten zufrieden zu geben.

Grenzen der Einsatzmöglichkeiten

Hinsichtlich der heute darauf gepflegten Stilrichtungen ist die klassische Gitarre zweifellos universell. Von ihren Einsatzmöglichkeiten im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten läßt sich das allerdings viel weniger behaupten.

Ihr Aufstieg zu Beginn des 19. Jahrhunderts war nicht darin begründet, daß es der Gitarre gelungen wäre, die verschwundenen Lauteninstrumente auch nur ansatzweise in ihren vielfältigen Funktionen als vollwertige Mitglieder des Instrumentenensembles zu ersetzen. Verloren zwischen der kantablen Übermacht der Streicher und dem beidhändig geschöpften harmonischen Potential der sich rasant entwickelnden Klaviere reichte der klangliche Charme des kleinen Biedermeierinstruments allein nicht aus, um sich die Aufmerksamkeit der großen Komponisten dieser Epoche nachhaltig zu sichern.

Die Blütezeit der Gitarre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist infolge dessen weniger durch bedeutende kammermusikalische Werke als vielmehr durch Liedbegleitung und ein überaus reizvolles solistisches Repertoire mit Namen wie Fernando Sor oder Mauro Giuliani geprägt. Sor selbst war dabei insofern eine Ausnahme, als die Gitarre – im Gegensatz zur Laute – in ihrer gesamten Geschichte nur wenige Harmoniker seines Ranges besessen hat.

Auch Antonio der Torres und Francisco Tárrega traten nicht an, um erneut ein Zupfinstrument dauerhaft im Ensemble der Streicher und Bläser zu etablieren. Torres berühmte „La Leona“ – der Prototyp der heutigen „klassischen Gitarre“ – mochte gegenüber den Modellen der Biedermeierzeit zwar etwas mehr Schalldruck und sonorere Bässe aufweisen, hatte aufgrund ihres dunkleren Timbres aber ein grundsätzlich eher schlechteres Durchsetzungsvermögen in Ensemblespiel als ihre kleineren und heller tönenden Vorgängerinnen.

Während es Torres in ziemlicher Abgeschiedenheit vom Musikbetrieb seiner Zeit gelang, die Biedermeiergitarre in ein Instrument umzuformen, das dem dunklen, spätromantischen Klangideal dieser Epoche vollkommen entsprach, lotete Tárrega – nicht minder isoliert – die spieltechnischen Mittel aus, um alle Facetten dieses schwermütigen Klanges zur Geltung zu bringen. Die Situation dieser beiden Eigenbrötler an der Peripherie Europas ähnelte in erstaunlicher Weise jener der französischen Lautenisten des 17. Jahrhunderts. Eingesponnen in die neue Welt der gerade eingeführten d-moll Stimmung versenkten sie sich in raffinierte Experimente mit neuen Spiel- und Ausdrucksmitteln, ohne viel nach Öffentlichkeit oder Ensembletauglichkeit ihres Instrumentes zu fragen. In Folge dessen starb die Laute in Frankreich schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus, während die Theorbe, die ihre Bindung ans Orchester nie verloren hatte, auch weiterhin in Amt und Würden blieb.

Daß der „klassischen“ oder besser „spätromantischen“ Gitarre überhaupt der Sprung ins 20. Jahrhundert gelang, ist einer Reihe herausragender Virtuosen zu verdanken, die – wiederum in überwiegend solistischem Kontext – die wunderbaren klanglichen Möglichkeiten dieses Instrumentes vor erstauntem Publikum zelebrierten und eine sektenähnliche Anhängerschaft um sich scharten.

Das grundsätzliche Problem der Klangverstärkung der Gitarre als Voraussetzung einer besseren Ensembletauglichkeit hatte bereits im 19. Jahrhundert zu vielfältigen Versuchen und Experimenten mit veränderten Formen geführt. Einige davon machen es dem heutigen Betrachter schwer, bei ihrem Anblick den nötigen Ernst zu bewahren. Wie es scheint, konnte sich keiner dieser Versuche gegenüber den klassischen Formen und Bauweisen der Gitarre durchsetzen. Die im 20. Jahrhundert erzielten Ergebnisse einer Klangverstärkung durch modifizierte Deckenkonstruktionen wiederum sind – bei allem Respekt – nicht gravierend genug, um der klassischen Gitarre unverstärkt ein problemloses Zusammenspiel mit Streichinstrumenten zu ermöglichen. Es scheint, daß eine Verlagerung des Klangspektrums hin zu mehr Helligkeit dafür wesentlich wichtiger wäre, als kleine Zugewinne an Schalldruck, die oft genug um den Preis eines Verlusts des natürlichen Charmes dieses Instrumentes erzielt werden. Dabei erhebt sich allerdings die Frage, wieviel von der spezifischen Klangcharakteristik der Gitarre dann überhaupt noch erhalten bleibt.

Grenzen des Repertoires

Die Gitarre des 19. und 20.Jahrhunders verfügt über einen bemerkenswerten Reichtum an originären Kompositionen. Besonders hervorzuheben sind eine Reihe bedeutender Werke, die große Virtuosen des 20.Jahrhunderts für ihr Instrument anregten. Ein leuchtender Gipfel ist für mich Julian Breams „Guitar Music of the 20th Century“. Von Einspielungen dieser Art ist die Laute zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider noch weit entfernt.

Angesichts dieser Guthaben machen die Programme vieler heute mit einer klassischen Gitarre auftretender Künstler etwas ratlos. Wirklich gewichtige Originalkompositionen des 20. Jahrhunderts sind darin ebenso selten anzutreffen, wie die formvollendeten und gehaltvollen Werke Fernando Sors.

(Siehe auch den Auszug aus dem Interview mit Eduardo Fernández)

Bei allem Verständnis für die Lust an Transkriptionen und Musik mit stark folkloristischem oder improvisatorischem Einschlag scheint mir die zunehmende Vernachlässigung des klassischen wie auch des gewichtigeren Teils zeitgenössischen Repertoires bedenklich zu sein. Darüber hinaus stoßen die bei Gitarristen so beliebten Adaptionen beispielsweise der Lautenwerke Johann Sebastian Bachs unter kritischen Hörern keineswegs immer auf dasselbe Wohlwollen, das ihnen Besucher von Gitarrenfestivals entgegenbringen.

Wenn man die überlieferten Versionen der Bachschen Lautenwerke kennt und weiß, wie sie auf einem Lauteninstrument dieser Zeit auszuführen sind und klingen, muten Wiedergaben auf einem sechssaitigen Instrument in Quartenstimmung an wie der Versuch, das Wohltemperierte Klavier mit nur drei Fingern der rechten und zwei der linken wiederzugeben. Arrangements der Musik von Sylvius Leopold Weiß für die sechssaitige Gitarre wiederum beschwören bei Lautenisten regelmäßig das Bild des einarmigen Pianisten herauf.

Bearbeitungen von Orchesterwerken wie Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ für die Gitarre mögen genau so legitim sein, wie Franz Liszts Klavierparaphrasen über Wagnersche Ouvertüren. Sie rechtfertigen nach meinem Verständnis jedoch ebenfalls nicht die Vernachlässigung des originalen Repertoires.

Der stark romantische Grundcharakter der „klassischen“ Gitarre verführt ihre Spieler zwangsläufig immer wieder zu Interpretationen, die Werken aus vorromantischer Zeit nicht angemessen sind und Kenner der historischen Aufführungspraxis befremden. Besonders bei der Wiedergabe barocker oder noch älterer Musik fehlt es Gitarristen – ungeachtet aller technischen Bravour – oft an der erforderlichen Stilsicherheit.

Ungeachtet dieser Anmerkungen bin ich – als Lautenist – weit davon entfernt, abfällige Äußerungen bezüglich der klassischen Gitarre und ihrer Spieler gutzuheißen, die sich leider allzuoft in Lautenforen finden. Diese Kritiker scheinen zu vergessen, daß es Gitarristen waren, die im 19. Jahrhundert die Erinnerung an das Schwesterinstrument Laute aufrecht hielten und einen enormen Beitrag zur Weiterentwicklung von Spieltechnik und Bauweise der Zupfinstrumente leisteten. Die Renaissance der Laute im 20. Jahrhundert wäre undenkbar ohne das Engagement eines Gitarristen wie Julian Bream. Auf die Frage nach dessen Bedeutung für die Lautenszene antwortete Paul O’Dette ebenso knapp wie treffend: „Ohne Bream gäbe es keine Lautenszene“.

Weniger ist mehr – Aussichten

Die schwindende Akzeptanz der klassischen Gitarre im Bereich der Klassik geht mit einer raschen Überalterung der heutigen „historischen“ Lautenszene einher. Wie es scheint, hat die Spaltung in zwei unterschiedliche Berufsgruppen der Anerkennung der Zupfinstrumente im Ganzen nicht gut getan. Wäre es unter diesen Umständen nicht klug, sich einander wieder anzunähern und eine gemeinsame Grundlage zu finden, die es uns wie den Spielern des 17. und 18. Jahrhunderts erlaubt, sowohl Gitarrist als auch Lautenist zu sein?

Im Gegensatz zu den reanimierten historischen Lautenformen grenzt die Neue Laute (Liuto forte) Gitarristen nicht aus, sondern läd sie vielmehr ein, ihre Fähigkeiten auf einem Lauteninstrument und damit auch wieder in die Ensemblemusik einzubringen. Gitarristen könnten sich in Folge dessen ganz auf die im 19. und 20. Jahrhundert liegenden Stärken ihrer Instrumente konzentrieren ohne auf Werke aus früheren Epochen verzichten zu müssen, die ihnen dank der zeitgemäßen Modelle des Liuto forte nunmehr ebenfalls ohne allzu große Umstellungen ihrer Spieltechnik zugänglich sind.

Die klassische Gitarre hat aufgrund ihrer spezifischen klanglichen Auslegung zu keinem Zeitpunkt einen Grad musikalischer Integration erreicht, der dem von Lauteninstrumenten wie Arciliuto, Theorbe oder Gallichon im 17. und 18. Jahrhundert vergleichbar wäre. Ihr süßer, gedeckter Klang prädestinierte sie zwar zum Soloinstrument, verhinderte aber gleichzeitig, daß sich der gezupfte Ton im Tutti erneut hörbar mit dem der Streicher und Bläser zu einem homogenen Gesamtklang verband. Dieser Umstand machte es ihr von Anfang an schwer, vollwertiges Mitglied in Konzert, Kirche oder Oper zu sein. Trotz verstärkten kammermusikalischen Einsatzes der Gitarre durch Komponisten des 20. Jahrhunderts bleibt das grundsätzliche Problem ihrer geringen, keineswegs nur in mangelnder Lautstärke begründeten Durchsetzungsfähigkeit gegenüber anderen Instrumenten auch weiterhin bestehen.1 Diese Feststellung muß Gitarristen jedoch nicht entmutigen, denn die vielfältigen zusätzlichen Einsatzmöglichkeiten, die ihnen die verschiedenen Modelle des Liuto forte im Ensemblespiel bieten, befreien ihr schönes Instrument von unangemessenen Verpflichtungen. Auch wenn klassische und spätromantische Gitarren nicht allen Anforderungen eines Ensembleinstrumentes genügen, bleiben sie doch – sofern man ihre natürlichen Grenzen respektiert – schmale, aber überaus reizvolle, von Orchideen umsäumte Pfade.

Vielleicht sollten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, daß die in wechselnder Intensität verlaufende, eigentliche Epoche der „klassischen“ und spätromantischen Gitarre die Zeit von 1800 bis etwa 1980 war. Im Hinblick auf die Erschließung neuer Einsatzmöglichkeiten und die Eroberung eines größeren Auditoriums jedoch gehört das Feld von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an ganz klar den unterschiedlichen Formen elektrisch verstärkter Modelle.

Ob die „klassische“ Gitarre auch weiterhin ihren Platz im Bereich der Klassik zu behaupten vermag oder ob sie auf hohem technischen Niveau verflacht und als reizvolle Episode in die Geschichte der Musikinstrumente eingeht, könnte ebenso von der Einsicht in ihre Grenzen wie vom klugen Gebrauch ihrer Stärken abhängen.

1 Eine mögliche Hilfestellung zur besseren Hörbarkeit der Gitarre, insbesondere im Zusammenspiel mit Streichern, könnte in „Paganinis Trick“ bestehen. (siehe unter Details/Stimmvarianten)