Einzel- oder Doppelsaiten?

Oft begegnet man der Ansicht, daß Lauten früher ausschließlich chörig (d.h. mit Doppelsaiten) bezogen wurden, ja daß die chörige Besaitung geradezu das Charakteristikum einer „echten” Laute sei. Das ist ein Irrtum.

Die Einzelbesaitung hat es bei Instrumenten der Lautenfamilie auch in früheren Jahrhunderten schon immer gegeben: Theorben – ebenso wie Arciliuti oder Gallichonen – wurden im 17. und 18. Jahrhundert sowohl mit doppelten wie auch einzelnen Griffbrettsaiten bezogen. Die Angélique – fraglos ein „echtes” historisches Lauteninstrument – wies ausschließlich Einzelsaiten auf.

Siehe auch: Historische Liuti forti

Was die Verdoppelung der tiefen Töne angeht, so waren die den Bässen beigefügten Oktavsaiten ursprünglich ein Notbehelf, um – insbesondere beim Übergang vom Plektrum- zum Kuppenspiel – den dumpfen Klang der damals noch nicht umsponnenen, sehr dicken Baßsaiten aus blankem Darm aufzuhellen. Dem gleichen Zweck diente u.a. der unter der Decke hinterm Steg angebrachte Baßbalken sowie die spätere Erfindung des zweiten Halses zur Verlängerung der Baßsaiten, die dadurch schlanker und obertonreicher wurden.

Die Oktavsaiten wurden bereits von John Dowland (1562 -1626) kritisiert, da sie „die Harmonie verfälschen”.1 Eigentlich hätte man sich spätestens nach Erfindung der umsponnenen Saiten um 1670 von ihnen trennen können, behielt sie aber – der bei schwach gespannten Saiten höchst nötigen Erzeugung einer imaginären Klangfülle wegen – als eine Art permanentes 4-Fuß-Register2 bei.

Auf Barocklauten mit acht oder mehr diatonisch gestimmten Baßsaiten haben die beigefügten Oktavsaiten den zusätzlichen Nachteil, daß dieses Baßregister im wesentlichen nur einstimmig und mit Daumenanschlag benutzbar ist. Bei einem Anschlag mit anderen Fingern würde man zuerst die Oktave und dann den tiefen Ton der Doppelsaite hören. Auf der Angélique, die durchweg mit Einzelsaiten bezogen war, spielte man in diesem Register hingegen drei- oder sogar vierstimmige Akkorde.

Ich glaube, daß die Zurückhaltung moderner Komponisten, neue Werke für die alte Laute zu schreiben, nicht zuletzt auf den durch ihre Besaitung vorgegebenen Einschränkungen beruht. Julian Bream hatte den richtigen Instinkt, als er Benjamin Britten riet, das ursprünglich für die Laute vorgesehene „Nocturnal” op. 70 der Gitarre zuzueignen. Die Laute wäre in ihrer traditionellen Form gar nicht imstande gewesen, den Klangreichtum dieses Werkes auszuloten. Vielleicht ist der Liuto forte das ideale Medium zur Wiedergabe dieser Komposition.

Doppelsaiten erfordern eine Anschlagsweise, bei der die Saiten eher gestreift und damit parallel zur Decke in Schwingungen versetzt werden. Hinsichtlich einer optimalen Anregung der Luft- und Deckenresonanz ist das bekanntlich der ungünstigste Fall. Spieler von Gitarre und Theorbe wissen, daß sie ihre Saiten in das Instrument „hineinspielen” müssen, um einen großen Ton zu erzielen. Der Verzicht auf Doppelsaiten mag zunächst den Verlust jenes silbrigen Rauschens bedeuten, das für manche das Charakteristikum einer „echten” Laute ist. Er führt jedoch – in Verbindung mit der neuen Deckenkonstruktion und höherer Saitenspannung – zu einer wirklichen Ausreizung des im Lautenkorpus eingeschlossenen Luftvolumens sowie zu ungleich größeren klanglichen Gestaltungsmöglichkeiten.

Zwei Saiten mit jeweils halber Spannung erreichen nicht die gleiche Umsetzung in Schall wie eine einzelne Saite mit voller Spannung. Zudem weicht die Anpassung von dünnen Saiten an den Innenwiderstand (Impedanz) der Decke stark vom Ideal ab.

1 Dowland konnte trotz seines Unbehagens schlecht auf die Oktavsaiten verzichten, da der Klang der dicken, nicht umsponnenen Darmsaiten auf seiner kleinmensurierten Laute ohne sie allzu unbefriedigend war.

2 Ein 4-Fuß-Register ist bei historischen Tasteninstrumenten ein zusätzlicher Saitenbezug, der beim Anschlag einer Taste den Hauptton in der Oberoktave verdoppelt.