Besaitung der historischen Laute
Das Hauptkriterium einer guten Besaitung ist die klangliche Ausgewogenheit zwischen Diskant und Baß. Ein zweistimmiger Satz, bei dem sich die Melodiestimme in der eingestrichenen Oktave und der Baß zwischen großer Oktave und Kontraoktave bewegt, darf nicht den Eindruck erwecken, als würde zwischen diesen beiden Stimmen ein Loch klaffen. Die Baßsaiten müssen auf die Helligkeit der Diskantsaiten (historische Laute) oder die Diskantsaiten auf die Dunkelheit des Baßregisters (spanische Gitarre) abgestimmt werden, um einen ausreichenden Verschmelzungsgrad zwischen Unter- und Oberstimme zu erreichen. Diese Abstimmung kann ausschlaggebend für den Gesamteindruck eines Instrumentes sein.1
Die Besaitung von Kopien historischer Lauten, die nicht nur auf den Klang, sondern auch auf die Spieltechnik Einfluß hat, ist ein besonders heikles Kapitel. Weder die Diskant- noch die Baßsaiten alter Lauten haben mit den heute üblicherweise verwendeten Bezügen viel gemein, und es ist naiv anzunehmen, daß allein die Verwendung moderner Darmsaiten uns dem „originalen” Klang einer historischen Laute näher bringt.
Eine heutige Darmchanterelle (höchste Saite der Laute) besteht aus 10 bis 12 Streifen, die aus Därmen eines erwachsenen Schafes geschnittenen sind. Diese werden miteinander verdrillt und anschließend maschinell präzisionsrund geschliffen. Eine solche Saite ist teuer, klingt spitz und wird bei intensivem Üben schon nach wenigen Tagen unbrauchbar. Ihr einziger Vorzug gegenüber einer alten Darmsaite liegt in der durch das nachträgliche maschinelle Schleifen erzielten, garantierten Quintenreinheit.2
Die besten unter den alten Lautenchanterellen – sogenannte „römischen Quinten” – bestanden aus zwei ungespaltenen, nicht geschliffenen Därmen von Milchlämmern. Sie klangen phantastisch, stanken erbärmlich und hielten – wenn sie nicht rissen – der Beanspruchung durch den Spieler etwa drei bis vier Wochen stand. Ihr Klang war eher dem einer Nylonsaite ähnlich und grundtöniger als der von Darmsaiten heutiger Machart. Aufgrund höherer Längselastizität schwangen Lammdarmchanterellen besser aus und konnten näher am Steg angeschlagen werden.
Für Baßsaiten alter Lauten verwendete man bis etwa 1700 blanken Darm oder Metall. Später wurden sie mit Kupfer- oder Silberdraht umsponnen, wobei auch Naturseide oder Draht als Kern der Umspinnung Verwendung fanden. Bei der Umspinnung auf Darm oder Metall lag der Umspinndraht nicht wie bei heutigen Saiten Windung an Windung, sondern die Umspinnung blieb mehr oder weniger offen. Die Saite hatte dadurch eine geringere Biegesteifigkeit, war kürzer und heller im Klang als heutige engumsponnene Saiten und konnte ebenfalls näher am Steg angeschlagen werden. Der größte Nachteil der offenen Umspinnung bestand in einer gewissen Unbequemlichkeit beim Lagenwechsel. Es ist interessant, daß das Spiel auf der tiefen g-Saite der Violine in höheren Lagen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Rolle zu spielen begann, nachdem man von der weiten Umspinnung dieser Saite zu einer engen übergegangen war.
Die zu John Dowlands (1562-1626) Zeit verwendeten Baßsaiten bestanden aus blankem, nichtumsponnenen Darm von beträchtlichem Durchmesser. Sie waren sehr viel dumpfer als die späteren weit- oder engumsponnenen Saiten und bedurften der Unterstützung durch beigefügte Oktavsaiten in ganz besonderem Maße. Ihrem Klang einen Reiz abzugewinnen, dürfte für heutige Besucher von Lautenkonzerten zu den größten Herausforderungen gehören.
Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß historische Lautensaiten im Unterschied zu modernen grundtöniger (d.h. weniger spitz) im Diskant und – bei offener Umspinnung – heller im Baß gewesen sind.
Für Gitarristen ist vielleicht die Feststellung interessant, daß der dunkle Klangcharakter spanischer Gitarren sich durch das damals verwendete Saitenmaterial etwas anders als heute präsentierte. Die helleren Darmsaiten hoben sich stärker als Nylonsaiten von den Bässen ab, während diese mit ihrem Kern aus Naturseide wiederum kürzer und gedämpfter klangen als moderne Baßsaiten mit einem Nylonkern.3
1 Bei einigen Einspielungen barocker Musik auf modernen Gitarren, die mit zusätzlichen Baßsaiten ausgestattet sind, ist aufgrund der dumpfen, obertonarmen Bässe der Verschmelzungsgrad zwischen Ober- und Unterstimme so gering, daß man sich für dieses Bassregister die Oktavsaiten der alten Laute zurückwünscht.
2 Das maschinelle Nachschleifen der Darmsaiten wurde um 1900 in England eingeführt. Kritiker bemerkten schon damals, daß darunter nicht nur die Haltbarkeit, sondern vor allem der Klang der Saite leiden würde. Die Situation vorher war allerdings auch nicht gerade komfortabel. Der Spieler erwarb jeweils eine Saitenstärke im Bündel, aus der er sich die Längen heraussuchte, die einigermaßen quintenrein schienen. Das alte Klagelied über die Unreinheit von Darmsaiten ist bis ins 19. Jahrhundert zu vernehmen.
3 Davon kann man sich anhand der alten Einspielungen von Miguel Llobet (1878-1938) überzeugen.