Ist die Kluft zwischen Gitarristen und Lautenisten noch überbrückbar?

Die Spezialisierung der Lautenisten auf Nachbauten historischer Modelle und deren Spielweisen hat nicht nur zu einer erfreulichen Bereicherung der Artenvielfalt von Zupfinstrumenten, sondern auch zu einer tiefen Spaltung zwischen Lautenisten und Gitarristen geführt. Zwischen ihnen klafft eine Lücke, die es in diesem Ausmaß in früheren Jahrhunderten nicht gab und die – zumindest aus meiner Sicht – unnötig und kontraproduktiv ist.1 Sie wird unüberwindlich bleiben, solange man der Laute die Möglichkeiten und das Recht abspricht, Entwicklungsschritte über das 18. Jahrhundert hinaus zu tun und sich Klangwelten und Spieltechniken des 19. und 20. Jahrhunderts zu erschließen.

Gitarristen können mit der zart besaiteten, chörigen und ständiges Nachstimmen erfordernden historischen Laute in der Regel wenig anfangen. Manchem Lautenisten wiederum erscheint die moderne Gitarre als dumpfes, schwergängiges Monstrum, dessen stilistisch inhomogenes Repertoire die enormen Belastungen für Finger und Rücken kaum zu rechtfertigen vermag.

Die alte Laute mag hinsichtlich ihrer Deckenkonstruktion und Besaitung ideal für die Wiedergabe von Passamezzi, Bourréen und Gagliarden sein. Wer ihr historisches Kostüm jedoch zu einem unantastbaren Endzustand erklärt, trägt wahrscheinlich dazu bei, daß sie über kurz oder lang erneut in den Museumsvitrinen verschwindet.

Wenige Instrumente sind – was ihren variablen Teil wie Stimmung und Besaitung angeht – über Jahrhunderte hinweg vergleichbar anpassungsfähig gewesen. Laute und Lautenspiel blieben vital, solange sie dem wechselnden Zeitgeschmack Rechnung trugen. Sie büßten ihre Lebenskraft ein, als sie es aufgaben, sich dem Wandel der musikalischen Sprache und den veränderten Erfordernissen des Musizierens im Ensemble zu stellen.

Es ist eher menschlicher Unzulänglichkeit als erschöpften Entwicklungsmöglichkeiten zuzuschreiben, wenn wir heute keine Lautenstücke von Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert oder Robert Schumann vorweisen können. So wie Spieler und Hersteller dieses Instrumentes in Mittelalter, Renaissance und Barock imstande waren, sich dem jeweiligen musikalischen Idiom ihrer Zeit anzugleichen, hätten wir heute ebensogut eine „klassische” oder „moderne” Laute, wenn die personellen Voraussetzungen in einer kritischen Phase musikalischen Stilwandels um ein weniges glücklicher gewesen wären.

Die Laute hat – als ein wahres Dornröschen der Musikgeschichte – zweihundert Jahre instrumentaler Evolution verschlafen. Von den Prinzen der historischen Aufführungspraxis wachgeküßt, wandelt sie – schon wieder etwas müde werdend – wie im Traum durch das Musikleben der Gegenwart und vollführt im alten Kleid die alten Tänze. Ob sie gänzlich wiederzuerwecken ist, wird von der Entschlossenheit abhängen, ihr neben der historischen Garderobe auch ein zeitgenössisches Kostüm zur Verfügung zu stellen, in dem sie sich frei in der Gegenwart bewegen, neuen musikalischen Genres öffnen und ihre ursprüngliche Lebenskraft zurückerlangen kann.

Es ist aufschlußreich, daß die erfolgreiche Vermittlung von Lautenmusik an eine breite musikalische Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert weniger den Verfechtern historischer Spielweisen und Instrumente, als einem Gitarristen wie Julian Bream zu danken ist. Dies sollte nicht allein seiner überragenden Persönlichkeit als Interpret zugeschrieben werden, sondern hat vielleicht auch damit zu tun, daß er bewußt Abweichungen von Bauweise und Besaitung des historischen Instrumentes in Kauf nahm, um die der Gitarre im 19. und 20. Jahrhundert erschlossenen neuen klanglichen Möglichkeiten in sein temperamentvolles und farbenprächtiges Lautenspiel einfließen lassen zu können.

Spieler der historischen Laute mögen uns einen authentischeren Eindruck davon vermitteln, wie diese Musik damals geklungen haben könnte. Obwohl es auch unter ihnen große Musikerpersönlichkeiten gibt, die auf ihrem Instrument Außergewöhnliches leisten, scheint dieser etwas trockene, gegen Ende des 18. Jahrhunderts außer Kurs gekommene Klang es gegenüber dem sehr viel modulationsfähigeren und wesentlich kantableren Ton der Gitarre doch ungleich schwerer zu haben, erneut den Weg in die Herzen einer breiten Zuhörerschaft zu finden.

Vor diesem Hintergrund wäre es umso bedauerlicher, wenn Gitarristen, die hinsichtlich ihres spieltechnischen Niveaus über alle Voraussetzungen zur Wiedergabe des Lautenrepertoires verfügen, durch Beharren auf einer aus dem 16.-18. Jahrhundert stammenden Einrichtung dieses Instruments und die damit verbundenen Klangvorstellungen dauerhaft vom Lautenspiel ausgeschlossen blieben.

Die zahlenmäßig kleine Schar der Lautenisten sieht sich – nach erfolgreicher Restitution ihres Repertoires – heute mit einer Situation konfrontiert, die der verarmter Aristokraten ähnelt, denen man große Schlösser samt Inhalt zurückübertrug. Ihre gewandelte soziale Situation und die ökonomischen Eckdaten legen nahe, nicht auf einem alleinigen Nutzungsrecht zu bestehen, falls das Erbe angemessen erhalten werden soll. Allerdings ist ihr Marketinginstrument – die historische Laute – einfach nicht stark genug, um ein bürgerliches Publikum in ausreichender Zahl zur Besichtigung ihrer Schätze zu bewegen.

Ein Alleinvertretungsanspruch der Lautenisten auf die Lautenmusik wäre ebenso unvernünftig wie die seinerzeit von Andrés Segovia (1893-1987) geäußerte Ansicht, daß man die Laute nicht brauche, weil deren Musik auf der Gitarre viel besser klänge. Da nun schlechterdings nicht von Gitarristen verlangt werden kann, daß sie zur Barock- oder Renaissancegitarre zurückkehren, um wieder mit den verschiedenen historischen Lautentypen auf Augenhöhe zu sein, ist es sinnvoller, die im 18. Jahrhundert steckengebliebene alte Laute auf Augenhöhe mit der Gitarre zu bringen und beide Instrumente erneut miteinander kommunizieren zu lassen.

Würden ihre Stärken – die Wärme und der Klangfarbenreichtum der Gitarre, die Klarheit und Noblesse der Laute – in einem neuen Instrument vereint, das Spielern beider Richtungen gleichermaßen zugänglich und obendrein ensembletauglich ist, dürften beide Seiten nur gewinnen.

1 Gitarristen konnten im 17. und 18. Jahrhundert ebenso Theorbisten oder Lautenspieler sein. Bei Robert de Visée finden sich Arrangements desselben Stückes für alle drei Instrumententypen.