Über den Liuto Forte

von Benno Streu

Es war der Lautenist André Burguete, der mich bat, die altehrwürdige Bauform der Laute nach heute vorliegenden akustischen Kenntnissen und den seitherigen Neuentwicklungen im Instrumentenbau zu überprüfen. Es lag dabei nahe, musikalische Vergleiche zwischen Gitarren und Lauten anzustellen. Unüberhörbar war, daß insbesondere Gitarren spanischer Meister des 19. und 20. Jahrhunderts im Vergleich zu alten und neuen Lauten einen wesentlich größeren Ton hatten ohne – vom anderen Timbre der Gitarre abgesehen – ihnen in musikalischer Qualität nachzustehen.

Aus meiner langjährigen Erfahrung mit spanischen Gitarren großer Meister regte ich – in ständiger Konsultation mit André Burguete – schrittweise Änderungen an, die der Lautenbaumeister Günter Mark in kongenialer Weise realisierte. So entstand mit den Jahren eine „Neue Laute”, die lautstärkemäßig den Vergleich mit guten Gitarren nicht mehr zu scheuen braucht.

Dabei wurde streng darauf geachtet, das Besondere des Lautentons zu bewahren. Nachstehend sollen die wesentlichen Schritte erläutert werden, die zur Bauart des „Liuto forte” führten.

Deckenausbildung

Es war Torres, der durch eine schwache Wölbung der Decke eine derartige Verbesserung ihrer Statik erzielte, daß er auf eine schwere Beleistung verzichten konnte. Gitarren von Torres, obwohl über 100 Jahre alt, zeigen im Gegensatz zu den vielfach bebalkten, planen Decken historischer Lauten kaum Tendenzen zum Einfallen.

Möglicherweise hatte der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeitende Torres bereits Kenntnisse der Chladni’schen Experimente mit schwingenden Platten, dessen Lehren schon vor 1800 weite Verbreitung fanden. Vielleicht hat er seinerzeit schon Nutzanwendung daraus gezogen, was heute noch nicht Allgemeingut ist. Aufgrund der Deckenwölbung konnte er jedenfalls die Deckenbeleistung so schwach halten, daß die Chladni’sche Verteilung der Deckenmoden nicht durch eine schwere Beleistung gestört wurde.

Als Klanggenerator des Instrumentes hat Torres die den Saitenhalter umschließende Klangellipse der Decke erkannt. Diesen Deckenteil hat er fächerförmig beleistet und die Deckenstärke streng symmetrisch partiell variiert. Generell wurden seine Decken und die seiner zeitgenössischen Mitarbeiter gegen den Rand zu um einen gewissen Betrag dünner ausgearbeitet. Wie wir heute wissen, dient das dem Erzielen möglichst „echter” Bässe mit großem Grundtonanteil.

Alle vorstehend genannten Prinzipien der Torres’schen Deckenausbildung wurden sinngemäß auf die „Neue Laute” angewandt. Auch hier liegt der Saitenhalter in der Mitte einer symmetrischen Schallellipse, die gewölbt und mit leichten Fächerbalken belegt ist. Die vorderen Deckenteile ober- und unterhalb der Rosette sind klassisch ausgebildet und beleistet. Sie werden, wie bei allen Lauten, vom „Generator”, nämlich der Schallellipse um den Saitenhalter, sympathisch angeregt. Diese Deckenteile sind, neben der besonderen Form des Lautenkorpus, für den typischen Lautenklang mitverantwortlich.

Saitenhalter

Im Gegensatz zur Gitarre liegen die Saiten der herkömmlichen Laute nicht definiert auf einer harten Stegeinlage, sondern enden am Saitenhalter in einer elastischen Schlinge. Diese Schlinge bringt nicht nur eine gewisse Unschärfe in die Mensurbildung, sondern stellt durch ihre Nachgiebigkeit auch einen beträchtlichen Energieverlust für die den Steg anlaufenden Saitenschwingungen dar.

In Anlehnung an eine Stegkonstruktion von Torres, die er nach heutigen Kenntnissen nur zweimal gebaut hat, und die möglicherweise mit seiner „secret bridge” identisch ist, wurde ein neuer Saitenhalter konstruiert, der den klassischen Saitenhaltern der Laute in der äußeren Form vollkommen gleicht. Bei dieser Konstruktion haben die Saiten wie bei der Gitarre einen definierten, harten Auflagepunkt, der direkt auf die Decke wirkt. Damit entfallen alle bisher hier entstandenen Verluste. Diese Stegkonstruktion ist durch ein Gebrauchsmuster geschützt.

Bünde

In den mehr oder weniger elastischen Darmsaitenbünden der alten Laute traten, wie in der Schlinge des Knüpfsteges, Energieverluste auf. Ein nicht unwesentlicher Teil der Saitenenergie wurde – physikalisch gesehen – statt in akustische Energie in Wärme umgesetzt. Da auch die Möglichkeit des Verschiebens der Bünde zum Zweck des „Temperierens” aus heutiger Sicht überholt sein dürfte, wurde die „Neue Laute” mit festen Bünden ausgestattet, die ganz wesentlich zu einer präzisen, starken und klaren Tongebung beitragen.

Besaitung

Die chörige Besaitung der alten Laute wurde zugunsten einer Bespannung mit Einzelsaiten aufgegeben. Ohne die nach oben begrenzte Gesamtsaitenspannung des Instrumentes zu strapazieren, erlaubt die Einzelbesaitung bei gleichem Zug schwerere Saiten, deren akustische Impedanz besser an die Impedanz der Decke angepaßt ist, was wiederum einen besseren Gesamtwirkungsgrad zur Folge hat. In Forschungen zur Aufführungspraxis früherer Zeiten konnte übrigens eine häufige Vorbenutzung des Prinzips der Bespannung mit Einzelsaiten bei Lauteninstrumenten (Theorbe, Arciliuto, Gallichone, Angelique) nachgewiesen werden. Nicht zuletzt wird die Laute dadurch leichter stimmbar.

Holzauswahl

Der wohl wesentlichste Schritt zum Erzielen einer kraftvollen Resonanz war die Wiederentdeckung eines verlorengegangenen Prinzips zur Auswahl der Hölzer von Korpus, Decke und Hals. Wer jemals auf alten Meisterinstrumenten gespielt hat, dem wird deren leichte Ansprache und das wie selbstverständliche Mitschwingen des ganzen Instrumentes aufgefallen sein. Der reiche Anteil an Formanten, sowohl im Akkord- als im Einzeltonspiel und ein auffallend guter Sustain machen es aus, daß man solchen Instrumenten nachsagt, „es käme mehr Musik heraus, als man hineinspielt”.

In der Tat gibt es eine wichtige akustische Materialkonstante für Hölzer, die jedes Stück Holz individuell unterscheidet. Dieser Kennwert blieb aber bisher als Kriterium in der gesamten Fachliteratur des Saiteninstrumentenbaues unbeachtet oder unerkannt, obwohl er – wie Nachmessungen an alten Instrumenten bewiesen haben – den alten Meistern bekannt gewesen sein muß. Nach umfangreichen Versuchen ist es gelungen, ein in der Praxis brauchbares Verfahren zur Bestimmung dieser Materialkonstante wiederzuentdecken bzw. zu entwickeln. Nach Ermittlung ihrer Kennwerte ist eine akustisch günstige Paarung der Hölzer möglich. Diese besondere Paarung bewirkt nun, im Gegensatz zu Instrumenten, bei denen nur die Decke schwingt, eine fühlbare Resonanz des ganzen Instrumentes. Durch diese musikalisch optimale Paarung der verwendeten Hölzer wird zudem die gesamte Dämpfung des Instrumentes reduziert. Das ist wesentlich für eine verlustarme Wandlung der beim Anschlag der Saite aufgewendeten mechanischen Leistung in abgestrahlte akustische Leistung.

Dieses besondere Auswahlkriterium der Hölzer ist von der vieldiskutierten Dickenbemessung von Decke und Korpus unabhängig. Diese dient lediglich zum Einstellen einer frequenzmäßig günstig liegenden Deckenhauptresonanz und der Lufthauptresonanz, die es ebenfalls zu ergründen galt.